Von Lucas Ammann

Dr. Marcus Franz, Facharzt für Innere Medizin, erklärt im Interview, warum wir gerade in Zeiten des Coronavirus Sport an der frischen Luft machen sollten, warum gar nicht alle
Covid-19 infizierten Personen am Virus versterben und warum „sequenzielle Ausgehzeiten“ sinnvoll sind.

Herr Dr. Franz: In den Empfehlungen heißt es immer, man solle sich die Hände mit Seife waschen oder sie desinfizieren. Was ist nun besser?

Marcus Franz: Am wichtigsten ist die Händewäsche mit der Seife, das sollte auch für jeden verfügbar sein. Dabei ist darauf zu achten, dass man sich die Hände gut mit Seife einreibt, auch die Fingerspitzen und Fingerkuppen sollten mit Seife bedeckt werden. Weiters muss zwischen den Fingern gut gereinigt werden – insgesamt sind 20 bis 30 Sekunden Einreibezeit zu empfehlen. Wenn kein warmes Wasser verfügbar ist, reicht auch kaltes. Wenn man ein Desinfektionsmittel zur Verfügung hat, ist das optimal. Dieses ist nach dem Händewaschen auf die getrocknete Haut aufzutragen.

Und was macht man, wenn man unterwegs ist?

Marcus Franz: Wenn man kein Wasser zur Verfügung hat – und nur ein mitnehmbares Desinfektionsmittelfläschchen – sollte dies auf jeden Fall verwendet werden. Auch hier gilt: Gut verteilen und 30 Sekunden einwirken lassen.

Auf was muss man beim Kauf von Desinfektionsmittel achten?

Marcus Franz: Das müssen hochprozentig alkoholhältige Desinfektionsmittel sein – sprich mindestens 60, noch besser 80 Prozent Alkoholanteil. Alle anderen sind praktisch wirkungslos.

Dr. Marcus Franz ist Facharzt für Innere Medizin und hat in Wien-Hietzing eine Ordination. Franz war bis November 2017 Abgeordneter zum Nationalrat.
(c) Franz/Parlamentsdirektion

Die Schulen wurden jetzt bis Ostern geschlossen. Ist das eine sinnvolle Maßnahme?

Marcus Franz: Das ist grundsätzlich eine wirkungsvolle Maßnahme. Kinder werden zwar praktisch nicht krank – es gibt in der medizinischen Literatur kaum Fallbeschreibungen, wo Kinder Symptome zeigen – jedoch fungieren Kinder als sogenannte Vektoren. Das bedeutet, junge Menschen können Viren verteilen. Alle Plätze, wo viele Leute zusammenkommen sind sogenannte Clusters – auch Schulen zählen dazu. Daher können sie als Multiplikationsfaktoren gesehen werden, weil Viren dort vom einen auf den anderen übertragen werden können.

Wie lange ist diese Maßnahme notwendig?

Marcus Franz: Am besten wäre es natürlich, wenn wir diesen Zustand solange aufrechterhalten würden, bis überhaupt keine Fälle mehr nachweisbar sind. Aber das wird nicht gelingen, weil sich die Viren immer irgendwo halten. Durch Maßnahmen wie Schulschließungen erreicht man die Abschottung von potenziellen Multiplikatoren. Wie lange das sinnvoll ist, kann man jetzt noch nicht abschätzen.

Sollten wir eigentlich gänzlich auf sportliche Aktivitäten im Freien – wie beispielsweise das Spazieren – verzichten?

Marcus Franz: Es ist – anders wie hin und wieder behauptet – sogar unbedingt notwendig, dass Menschen einmal täglich ins Freie gehen, sich bewegen und spazieren gehen. Das ist nachweislich stärkend für das Immunsystem. Es gibt Studien, die nachweisen, dass das Laufen an der frischen Luft die Abwehrzellen im Rachen und Bronchialsystem stärken. Es ist also unsinnig, den Leuten zu empfehlen, keine Bewegung draußen an der frischen Luft zu machen und nicht spazieren zu gehen. Da würde man mehr Kranke produzieren – auch die Infektion mit anderen Viren.

Was kann dann passieren?

Marcus Franz: Wenn man lange immobil ist und zuhause auf der Couch herumliegt hat man ein genuin erhöhtes Risiko für Thrombosen. Und aus Thrombosen können sich Lungenembolien entwickeln. Also Leute, die länger herumliegen, sind gefährdeter für thromboembolische Erkrankungen – aber auch für Infektionen. Die Heimquarantäne-Maßnahme kann zwar gegen die Infektionsausbreitung von Covid-19 helfen, aber man würde wahrscheinlich am Ende mehr Kranke durch den Bewegungsmangel produzieren, weil dadurch Muskelabbau, Emboliegefährdungen und andere Krankheiten entstehen können.

Was wäre also Ihr Vorschlag?

Marcus Franz: Die Regierung müsste der Bevölkerung sogar dringend empfehlen, hinaus zu gehen. Weiters sollte man über sequenzielle Ausgehzeiten diskutieren. Risikogruppen sollten zu einer anderen Zeit einkaufen gehen als etwa Jugendliche, sodass die beiden Personengruppen nicht aufeinandertreffen.

Welche Maßnahmen sind sonst noch zu empfehlen?

Marcus Franz: Abseits der schon besprochenen Maßnahmen: Gut lüften und mehr als eine Armlänge Abstand halten (etwa 1,5 Metern).

Hände waschen und desinfizieren, Abstand halten, Räume gut lüften: Diese Schutzmaßnahmen sind zu empfehlen.
Die Austria Presse Agentur (APA) stellt in Krisenzeiten diese Grafik kostenlos zur Verfügung.
(c) APA

Kann man Nahrungsergänzungsmittel zur Immunstärkung – gerade für ältere Personen empfehlen?

Marcus Franz: Die am Markt erhältlichen Nahrungsergänzungsmittel, sprich die Polyvitaminpräparate sind grundsätzlich sicher kein Fehler. Die Meinungen, ob das wirklich nützlich ist, gehen zwar in der Medizin auseinander. Ich bin der Meinung, dass dies eher hilft, weil es immer besser ist zu viele als zu wenige Vitamine zu konsumieren. Die Präparate sind alle so zusammengesetzt, dass man sich keine Hypervitaminose zuziehen kann. Wasserlösliche Vitamine wie Vitamin C werden ohnehin ausgeschieden und die fettlöslichen werden kaum eingelagert.

Es hat vor ein paar Tagen das Gerücht gegeben, dass Alkohol gegen das Coronavirus helfen würde, was grundsätzlich als Falschmeldung enttarnt wurde. Welche positiven und negativen Wirkungen hat Alkohol in diesem Zusammenhang?

Marcus Franz: Alkohol ist gut für die Händedesinfektion, dass Alkohol auch desinfizierend beim Gurgeln wirkt, stimmt auch. Aber dass man diese Substanz vermehrt zu sich nehmen sollte, kann man jedenfalls nicht raten, weil hier die negativen Effekte überwiegen.

Wie lange dauert die Krise grundsätzlich – kann man das abschätzen? Wann ist der „Peak“ – sprich der Höhepunkt der Infektionen erreicht?

Marcus Franz: Das Coronavirus wird uns nicht mehr verlassen und es wird in Wellen immer wieder kommen. Wir haben ja das große Glück, dass für die meisten Menschen das Virus nicht gefährlich ist. Deshalb hat es in England auch die Theorie der sogenannten „Herdenimmunisierung“ gegeben – sprich, dass man schaut, dass sich möglichst viele Leute, die nicht zur Risikogruppe gehören, in möglichst kurzer Zeit infizieren, damit sie immun werden. Das wird ohnehin passieren, weil die Infektiosität des Virus sehr hoch ist. Was wir jetzt versuchen müssen, ist die Abflachung der Infektionskurve herzustellen, damit nicht in zu kurzer Zeit zu viele Leute krank werden. Einfach, um die Intensivstationen nicht zu sehr mit den Schwerkranken zu belasten.

Wie viele Menschen in Österreich werden sich infizieren und wie viele werden tatsächlich krank?

Marcus Franz: Die Durchseuchungsrate wird 50 bis 70 Prozent betragen, so viele Österreicher werden also infiziert werden. Aber: 80 Prozent der Infizierten zeigen laut den aktuell vorliegenden Daten wenig bis gar keine Symptome. Von allen Infizierten werden fünf Prozent schwer erkranken und man nimmt an, dass ein Prozent schwerst erkrankt.

Welche Folgen hätte das in Zahlen?

Dazu ein einfaches Rechenbeispiel: Wenn von allen Österreichern 50 Prozent, also die Hälfte, infiziert ist, dann macht das vier Million Meschen – grob gerechnet. Davon ein Prozent sind 40.000 Menschen, die schwerst erkranken und nach kurzer Zeit eine Intensivbehandlung brauchen. Das sprengt jedes Gesundheitssystem. Daher müssen wir die genannte Kurve abflachen. Wir haben in Österreich circa 2.500 Intensivbetten – das wird zwar jetzt etwas aufgestockt, aber auch das wird niemals reichen. Es gibt ja auch andere schwerkranke Menschen, die eine Intensivbehandlung brauchen – die werden wegen Corona nicht weniger!

Ist es abschätzbar, wann es Impfungen oder Medikamente gegen das Coronavirus geben wird?

Marcus Franz: Aus jetziger Sicht dauert es neun bis zu 18 Monate, bis Impfungen „Marktreife“ erlangen, weil die natürlich viele Tests durchlaufen müssen. Es wird also bis zum Frühling 2021 dauern, bis wir einen Impfstoff haben. Es sei denn, in der Wissenschaft gibt es einen solchen Erfolg und die Tests sind alle so super, dass wir bereits vorher beginnen können, Freiwillige zu impfen. Dazu wird man aber auch neue Gesetze und Verordnungen erlassen müssen, je nach dem wie groß die Not ist und wie schnell wir demzufolge handeln müssen.

An was wird noch gearbeitet?

Marcus Franz: Neben der aktiven Immunisierung gibt es noch die passive Immunisierung. Es wird daran gearbeitet, dass man Immunglobuline, das sind Abwehr-Eiweiße, die jeder Mensch gegen Bakterien und Viren produziert, von Menschen, die bereits die Krankheit durchlaufen haben, isoliert und den Schwerstkranken dann verabreicht.

Sterben wirklich alle Schwerstkranken, bei denen das Virus nachgewiesen werden konnte, am Coronavirus selbst?

Marcus Franz: Es ist vermutlich in vielen Fällen so, dass Patienten letztendlich gar nicht am Coronavirus verstorben sind. Man muss nämlich unterscheiden, ob jemand am Virus und dessen Auswirkungen oder in Folge eines Multi-Organversagens gestorben ist, weil er schon vor der Infektion andere schwere Krankheiten hatte. Somit wären viele Patienten zwar mit, aber nicht an dem Virus verstorben. Viele von den italienischen Todesfällen wären höchstwahrscheinlich ohnehin bald durch andere Ursachen passiert, weil die Patienten alt und schwer krank waren. Die Pathogenität, sprich die Krankmachungsfähigkeit des Virus selbst, ist nämlich an sich gar nicht so hoch. Bestimmte schwere Vorerkrankungen und das Alter per se machen anfällig, weil das Virus einfach als zusätzlicher Faktor dazukommt und es dann zu einem sukzessiven Versagen aller Organe kommt.

Ist folglich eine Verzerrung der Zahlen möglich?

Marcus Franz: Laut des wissenschaftlichen Beraters des italienischen Gesundheitsministers, Professor Ricciardi, entstanden die berichteten hohen Todeszahlen in Italien unter anderem dadurch, weil dort einfach jeder Todesfall, der zuvor Covid-19 positiv war und gestorben ist, als Corona-Toter gezählt wird.

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(la)

Corona: Warum wir spazieren gehen sollten

Von Lucas Ammann

Lucas Ammann betreibt eine eigene Website und schreibt als freier Journalist für verschiedene Medien. Mehr unter "Über mich".

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